Die Überwachung der Krankheit, der Erreger und möglicher Vektoren liefert relevante Informationen für die Lage- und Risikobeurteilung. Sie ermöglicht das Fall- und Kontaktmanagement und unterstützt evidenzbasierte Entscheidungen über Massnahmen zur Infektionskontrolle bei Mensch und Tier. Dabei bilden die permanent betriebenen Überwachungssysteme die Basis. Während der Pandemiebewältigung können zusätzliche Systeme notwendig werden.
Ziele der Überwachung
Ziele der Überwachung von Krankheit, Erreger und möglichen Vektoren sind:
Verdachtsfälle bei Menschen und Tieren (frühzeitig) zu erkennen (siehe Früherkennung).
Die epidemiologische Entwicklung der Krankheit und Erreger zu verfolgen.
Besonders gefährdete Personengruppen zu identifizieren.
Relevante Informationen zur Lage- und Risikobeurteilung der Erkrankung bzw. Krankheitserreger zu liefern.
Die permanent betriebenen Überwachungssysteme bilden die Basis für die Überwachung der Krankheit, der Erreger und möglicher Vektoren. Während der Pandemiebewältigung können zusätzliche Systeme notwendig werden.
Die Systeme haben verschiedene Anwendungsbereiche und Limitationen. Sie spielen je nach Phase der Pandemie eine unterschiedlich wichtige Rolle (siehe Grundlagen der Überwachung). Bei all diesen Systemen ist Folgendes zu beachten:
Kriterien für Verdachtsfälle, Probenahmen, Tests, Meldungen und Einschluss (Falldefinition) sind notwendig und entsprechend den Überwachungszielen der Pandemiephase zu definieren.
Erhobene Informationen (Meldeinhalt) sind auf die Überwachungsziele auszurichten und auf das notwendige Minimum zu beschränken (minimal essential data). Sie sind im Verlauf der Pandemiebewältigung dem Bedarf entsprechend so oft wie nötig, aber so wenig wie möglich anzupassen.
Internationale Empfehlungen und Erkenntnisse sind soweit möglich und sinnvoll zu berücksichtigen.
Änderungen sind möglichst frühzeitig zu antizipieren, um die Vorlaufzeit für Systemanpassungen seitens Betreiber des Meldesystems und seitens der Meldenden zu maximieren.
Aufwand-Nutzen ist über alle Systeme zu optimieren.
Ebenso sind Überwachungssysteme beim Tier zentral, sobald Tiere oder Vektoren an der Übertragung beteiligt sind.
Permanent betriebene Systeme
Permanent betriebene Systeme zur Überwachung von Krankheiten und Krankheitserregern beim Menschen sind:
Das obligatorische Meldesystem dient als Basis für die Früherkennung von Ausbrüchen neuartiger Erkrankungen. Voraussetzung ist, dass die Meldepflicht durch die Meldepflichtigen (Meldecompliance) befolgt wird.
Die erregerspezifische Meldepflicht ermöglicht es, die Entwicklung von bekannten Erregern zu verfolgen, die potenziell zu Pandemien führen können. Die Meldepflicht von Häufungen und ausserordentlichen Befunden erlaubt, neuartige Erreger frühzeitig zu erkennen. Die Labore sind verpflichtet, ein Teil der meldepflichtigen Erreger an ein Referenzzentrum weiterzuleiten, damit die Erreger bestätigt und weiter charakterisiert werden können, unter anderem zur Unterstützung von Ausbruchsabklärungen.
Infektionskrankheiten und deren Erreger(-varianten) zu überwachen und frühzeitig zu erkennen (siehe Früherkennung).
die epidemiologische Entwicklung der Erkrankungen und Erreger(-varianten) zu beschreiben.
Massnahmen zur Infektionskontrolle ergreifen zu können. Sie ist die Grundlage fürs Fall- und Kontaktmanagement, liefert Informationen für Entscheide bezüglich nichtpharmazeutischer Massnahmen und Teststrategie.
Erkenntnisse bezüglich der Transmission des Erregers, des klinischen Verlaufs der Erkrankung sowie bezüglich Risikofaktoren für Transmission oder schweren Krankheitsverlauf zu gewinnen, insbesondere während der initialen Pandemiephase.
Folgende Limitationen des obligatorischen Meldesystems sind zu berücksichtigen:
Umfang: Erweiterbarkeit des Meldesystems (Meldevolumen) ist in der normalen Lage quantitativ limitiert; In Antizipation von Krisenzeiten sind Vorlaufzeiten für Systemanpassungen zu berücksichtigen.
Vollständigkeit: Meldecompliance (Dunkelziffer) und Meldeverzögerungen begrenzen die zeitnahe Vollständigkeit der Meldedaten. Sie hängen von der Auslastung der Gesundheitsversorgung, der Teststrategie und Testfinanzierung, der Ausprägung der Erkrankung und vom Verhalten der Bevölkerung ab. Zudem beschreiben die Meldedaten das Infektionsgeschehen nur unvollständig. Infektionen, die nicht zwingend einer medizinischen Behandlung bedürfen oder asymptomatisch verlaufen, werden nicht erfasst.
Momentaufnahme: Aufgrund der einmaligen Meldung des klinischen Befunds ist in der Regel keine Verfolgung des Krankheitsverlaufs oder deren Behandlung möglich.
Veränderungen über die Zeit: Änderungen der Kriterien für Verdachtsfälle, Probenahmen, Tests, Meldungen und Einschluss (Falldefinition) sowie des Meldeinhalts beeinflussen die Ergebnisse und sind bei deren Interpretation zu berücksichtigen.
Das Sentinella-Meldesystem verfolgt die epidemiologische Entwicklung verschiedener Krankheitsbilder, unabhängig von Erregernachweisen (syndromische Überwachung). Ausbrüche neuartiger Erreger oder von Erregern mit pandemischem Potenzial können zu einer gehäuften Meldung solcher Krankheitsbilder führen. Teilweise sieht diese Überwachung vor, dass ein Teil der Patientinnen und Patienten labordiagnostisch abgeklärt und nachgewiesene Erreger charakterisiert werden. Dies erfolgt an einem Referenzzentrum oder einem anderen Vertragslabor. Proben können zusätzlich in die genomische Überwachung einfliessen. Dadurch lassen sich neuartige Erregervarianten frühzeitig erkennen.
häufig auftretende Infektionskrankheiten oder häufige Komplikationen solcher Krankheiten in der ambulanten Grundversorgung zu überwachen.
epidemiologische Entwicklung der Erkrankungen mit ambulanter Grundversorgung und Erreger(-varianten) zu beschreiben.
Erkenntnisse bezüglich des klinischen Verlaufs der Erkrankung sowie bezüglich Risikofaktoren für die Erkrankung zu gewinnen.
Herausforderungen in der ambulanten Grundversorgung zu erkennen (z. B. Engpässe) und Evidenz in diesem Bereich zu gewinnen (Forschung).
Folgende Limitationen des Sentinella-Meldesystems sind zu berücksichtigen:
Umfang: Der Meldeaufwand für Sentinella-Ärztinnen und -Ärzte ist zu balancieren, da er zusätzlich zur Meldepflicht anfällt. Je grösser das Meldevolumen, desto kleiner ist der Meldeinhalt zu halten.
Vollständigkeit: Die Überwachung beschreibt das Krankheitsgeschehen nur unvollständig, da sie sich auf ambulante Konsultation bei Grundversorgern fokussiert und auf der freiwilligen Teilnahme der Ärztinnen und Ärzte basiert.
Präzision: Aufgrund meist kleiner Zahlen und nicht-randomisierter Stichprobe bei labordiagnostischen Bestätigungen in Laboren oder Referenzzentren, ist die Präzision der Hochrechnung eingeschränkt. Regionale und altersspezifische Analysen sind nur begrenzt möglich.
Momentaufnahme: Aufgrund der einmaligen Meldung des klinischen Befunds ist es in der Regel nicht möglich, den Krankheitsverlauf oder die Behandlung zu verfolgen.
Die Überwachung durch die Swiss Pediatric Surveillance Unit (SPSU) (BAG-Infoportal SPSU) ist zentral, um:
seltene Infektionskrankheiten oder seltene Komplikationen von Infektionskrankheiten bei Kindern zu überwachen, die im Spital behandelt werden.
epidemiologische Entwicklung der seltenen Erkrankung oder Komplikation zu beschreiben.
Erkenntnisse bezüglich des klinischen Verlaufs der Erkrankung oder Komplikation sowie deren Behandlung bei Kindern zu gewinnen.
Folgende Limitationen der SPSU sind zu berücksichtigen:
Vollständigkeit: Die Überwachung beschreibt das Krankheitsgeschehen nur unvollständig, da sie sich auf spezifische, seltene Aspekte der Erkrankung bei hospitalisierten Kindern fokussiert.
Das Abwassermonitoring verfolgt die Zirkulation von Erregern. Es spielt vor allem während Perioden mit Änderungen bei der Testung (Teststrategie, Testverhalten) eine zentrale Rolle, da es unabhängig vom Verhalten der Bevölkerung (z. B. Inanspruchnahme medizinischer Leistungen) ist. Es kann jedoch nicht zwischen den Erregerquellen unterscheiden. Dies ist relevant, falls ein Erreger sowohl in Menschen, als auch in Tieren oder in der Umwelt vorkommt.
Das Monitoring umfasst einige respiratorische Erreger, die pandemisch auftreten können. Ein Teil der Abwasserproben fliesst in die genomische Überwachung mittels Whole Genome Sequencing (WGS) ein. Dies erlaubt die Verteilung der Erregervarianten im Abwasser zu verfolgen. Neuartige Erreger oder noch unbekannte Varianten können hingegen nicht entdeckt werden.
Der langfristige Betrieb des Abwassermonitorings ist noch nicht sichergestellt. Im Rahmen der Revision des EpG wird angestrebt, die Mitwirkungspflicht bezüglich des Abwassermonitorings gesetzlich zu verankern.
Ausbrüche oder das Zirkulieren der Erreger mit pandemischem Potenzial im Abwasser frühzeitig zu erkennen.
die epidemiologische Entwicklung der Infektionen und Erreger(-varianten) unabhängig vom Verhalten der Bevölkerung (Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, Testverhalten) und unabhängig von der Teststrategie zu beschreiben.
Folgende Limitationen des Abwassermonitorings sind zu berücksichtigen:
Umfang: Aktuell ist die Methodik erst für eine begrenzte Anzahl von Erregern etabliert.
Nachweisbarkeit: Nicht ausgeschiedene Erreger oder genetisch instabile Erreger können nicht nachgewiesen bzw. quantifiziert werden.
Spezifität: Bei Zoonosen ist keine Unterscheidung zwischen Ausscheidungsquellen möglich. Ausscheidende Menschen und Tiere können auch asymptomatisch infiziert sein.
Sensitivität: Die Bevölkerungsabdeckung des Systems ist begrenzt. Die Wahl der Beprobungsstandorte beeinflusst die Detektion.
Keine Hochrechnung; Abwasserdaten lassen keinen Rückschluss auf die Anzahl Erkrankter zu (Prävalenz).
Die genomische Überwachung mittels Whole Genome Sequencing (WGS) erlaubt es, neuartige Erreger(-varianten) frühzeitig zu erkennen. Zudem ermöglicht sie Erregervarianten aus Patientenproben mit Erreger(-varianten) aus anderen Proben (z. B. Proben von Tieren, Lebensmitteln, Umwelt, Vektoren) zu vergleichen. Sie umfasst aktuell einige respiratorische Erreger, die pandemisch auftreten können.
Als zentrales System für die koordinierte Sammlung und den Austausch genomischer Daten und Metadaten dient die Swiss Pathogen Surveillance Plattform (SPSP). Sie ist eine End-to-End-Plattform für Datenanalyse, Qualitätskontrolle und Datenpflege sowie für die Datenübermittlung. Es ist geplant, SPSP weiterzuentwickeln, so dass sie die Daten zu Erregern aus Human-, Tier- und Umweltquellen verarbeiten kann (One Health-Ansatz). Bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist bei dieser Überwachung von grosser Bedeutung. Der langfristige Betrieb der genomischen Überwachung ist noch nicht sichergestellt. Im Rahmen der Revision des EpG wird angestrebt, ein solches «Informationssystem» gesetzlich zu verankern.
Die genomische Überwachung und das Netzwerk der Referenzzentren (siehe Labordiagnostik) überlappen die anderen permanent betriebenen Überwachungssysteme und sind zentral, um:
neuartige oder besorgniserregende Erreger(-varianten) frühzeitig in Proben von (Verdachts-)fällen oder im Abwasser zu erkennen.
Ausbrüche von Erregern mit pandemischem Potenzial bei Menschen und Tieren abzuklären.
die Verbreitungsdynamik neuartiger oder besorgniserregender Erreger(-varianten) zu beschreiben.
die Entwicklung von Resistenzen gegen Therapeutika zu verfolgen.
die Entwicklungen der Erreger zu beobachten, die zu Immunevasivität führen, die Impfwirksamkeit vermindern können und/oder die Performance von diagnostischen Tests verändern.
Folgende Limitationen der genomischen Überwachung sind zu berücksichtigen:
Aktualität: Sequenzinformationen und Berechnung der darauf basierenden epidemiologischen Parameter hinken dem Infektionsgeschehen hinterher, da sie erst Wochen nach der Beprobung vorliegen.
Präzision: aufgrund kleiner Zahlen sind altersspezifische oder regionale Analysen kaum möglich oder nur länderübergreifend bzw. über längere Zeit.
Weitere permanent betriebene Systeme sind:
Mortalitätsmonitoring
Das Mortalitätsmonitoring (MOMO) des Bundesamtes für Statistik (BFS) beruht auf Daten der Sterblichkeitsstatistik. Es entdeckt auf nationaler, kantonaler und regionaler Ebene sowie altersspezifisch aussergewöhnliche Häufungen von Todesfällen innerhalb von rund zwei Wochen. Dabei wird nicht nach Todesursache unterschieden (Gesamtmortalität).
Internationale Systeme
Der Bundesrat kann völkerrechtliche Vereinbarungen abschliessen über den Austausch von Daten, die der epidemiologischen Überwachung dienen.
Internationale Systeme, in welche Daten der Schweiz einfliessen und die einen internationalen Vergleich zulassen sind u. a.:
Weitere Systeme oder Studien zur Überwachung der Krankheitserreger können während der Pandemiebewältigung notwendig werden. Beispiele sind:
Eine Sentinel-Überwachung in Spitälern erlaubt,
schwer verlaufende Infektionskrankheiten zu überwachen.
die epidemiologische Entwicklung der stationär behandelten Erkrankungen zu beschreiben.
Erkenntnisse zum klinischen Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung, zu besonders gefährdeten Personengruppen und ggf. zur Wirksamkeit von Massnahmen zu gewinnen.
Voraussetzungen hierfür sind eine zentrale Datenhaltung und dass die teilnehmenden Spitäler repräsentativ sind für die stationäre Versorgung.
Die nicht symptomorientierte (repetitive) Stichprobentestung in der Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe erlaubt,
die Prävalenz (Erregerzirkulation) in der Bevölkerung oder in einer besonders betroffenen Bevölkerungsgruppe (targeted surveillance) zu schätzen.
die epidemiologische Entwicklung zu verfolgen.
die Zahl der nicht erkannten Infektionen (Dunkelziffer) in der Bevölkerung bzw. in Bevölkerungsgruppen zu schätzen.
Voraussetzung hierfür sind, dass die Testbevölkerung repräsentativ ist für die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe. Beispiele dafür sind Stichproben-Erhebung in Langzeitpflegeinstitutionen, falls vor allem die ältere Bevölkerung betroffen ist.
Sind Systeme für Meldungen durch die Bevölkerung. Beispiel dafür sind freiwillige Meldung der Grippe durch die Bevölkerung (Grippenet).
Ein Beispiel dafür sind Seroprävalenzstudien. Sie ermöglichen es, den Anteil der Bevölkerung mit vorhandener Immunität gegenüber einem Krankheitserreger zu erfassen und dessen Entwicklung im Zeitverlauf zu verfolgen.
Weitere Systeme, die in erster Linie einem anderen Zweck dienen, aber Informationen zu Krankheit und Krankheitserreger liefern können, sind:
Contact Tracing: Dieses dient in erster Linie der Infektionskontrolle (siehe Fall- und Kontaktmanagement). Es erlaubt aber auch, die Massnahmenumsetzung zu verfolgen und epidemiologische Parameter wie die Zahl der Sekundarfälle (secondary attack rate), Inkubationszeit und Dauer der Infektiosität, Infektionsorte und Übertragungswege sowie Risikofaktoren für die Übertragung zu schätzen beziehungsweise zu untersuchen. Voraussetzung dafür ist eine zentrale Datenhaltung. Ein Contact-Tracing-Informationssystem mit zentraler Datenhaltung existiert aktuell nicht.
Spitalkapazitäten-Monitoring: Die Erhebung der Bettenkapazität dient in erster Linie der Erkennung von Engpässen in der stationären Gesundheitsversorgung. Sie erlaubt jedoch auch, die Prävalenz von Fällen mit stationärer Behandlung insgesamt sowie mit Behandlung auf einer Station mit Intermediate Care oder Intensivpflege zu schätzen. Voraussetzung hierfür sind eine zentrale Datenhaltung und eine entsprechend detaillierte Erhebung zur Bettenkapazität.
Zuständigkeit
Der Betrieb der permanenten Überwachungssysteme ist hauptsächlich Aufgabe des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den Kantonen, Referenzzentren und anderen Kompetenzzentren sowie weiteren Partnerinnen und Partnern im Human- und Veterinärbereich. Zentral ist, dass die Überwachung und Überwachungssysteme bereichsübergreifend eng koordiniert und die entsprechenden Informationsprozesse etabliert sind (One Health-Ansatz), soweit dies sinnvoll und möglich ist. Die Zuständigkeit für zusätzliche Systeme kann je nach Inhalt bei Bund oder Kanton liegen.
Pandemievorbereitung
Der Betrieb der permanenten Überwachungssysteme währender interpandemischen Phase muss nachhaltig sichergestellt sein.
Notwendigkeit und Möglichkeit der Methodenentwicklung für den Nachweis von Erregern mit bekanntem Ausbruchspotenzial im Abwasser ist zu prüfen. Beispiele sind das Monitoring von SARS-CoV-2 und Influenzaviren im Abwasser. In einem Teil der Abwasserproben werden die Erregervarianten bestimmt.
Es ist zu prüfen, ob das System der genomischen Überwachung bzw. die Aufgaben der Referenzzentren auf weitere Erreger mit bekanntem Ausbruchspotenzial erweitert werden sollen und können. Beispiele sind das Variantenmonitoring von SARS-CoV-2 und Influenzaviren in Proben von Erkrankten mit akuter respiratorischer Infektion (Patientenproben aus der ambulanten Sentinella-Überwachung) sowie von SARS-CoV-2 und saisonalen Influenzaviren des Typs A in Abwasserproben (aus dem Abwassermonitoring).
Pandemiebewältigung
Die permanent betriebenen Überwachungssysteme müssen angepasst und gegebenenfalls ausgebaut werden. Dies ist u. a. abhängig von der Art der Bedrohung und den betroffenen Populationen (Bevölkerungsgruppen, Tierpopulationen). Bei Bedarf sind zusätzliche neue Systeme zu etablieren – sowohl im Human- als auch im Veterinärbereich und an den Schnittstellen (One Health-Ansatz).
Initiale Phase
In der initialen Phase ist die Meldepflicht essenziell und im Hinblick auf das Fall- und Kontaktmanagement auszugestalten. Zur Überwachung des Erregers soll geprüft werden, ob weitere System notwendig und möglich sind.
Solange ein Fall- und Kontaktmanagement notwendig ist, spielt die Meldepflicht eine zentrale Rolle. Während der initialen Phase einer Pandemie ist baldmöglichst die Meldepflicht des klinischen und des laboranalytischen Befunds zu etablieren. Hierfür ist eine Änderung der Verordnung über die Meldung übertragbarer Krankheiten (VMüK) notwendig. Kriterien für Verdachtsfälle, Probenahmen, Tests, Meldungen und Einschluss (Falldefinition) sind dem Wissensstand zu Erkrankung bzw. Erreger und dem Bedarf entsprechend zu definieren.
Zudem ist zu prüfen, ob Labore Proben ans entsprechende nationale Referenzzentrum weiterleiten müssen, um den Erreger zu charakterisieren und ggf. für eine genomische Überwachung. Meldefristen und Meldewege sollen möglichst kurz sein. Ggf. ist eine direkte Meldung des klinischen Befunds ans BAG zu verordnen. Falls ein Fall- und Kontaktmanagement vorgesehen ist, muss die Meldepflicht Informationen für die Kontaktaufnahme mit den Fällen mit potenzieller oder bestätigter Infektion (Verdachtsfälle oder Fälle) vorsehen. Die Meldepflicht positiver und negativer Resultate ist für die Bestätigung bzw. Aufhebung von Sofortmassnahmen (Quarantäne, Isolation) wichtig. Ob weitere Informationen (z. B. Grunderkrankungen, Symptomatik, Exposition) im Rahmen der Meldepflicht erhoben werden können, ist zu prüfen.
Das Sentinella-Meldesystem kann die Meldepflicht ergänzen (z. B. ausführliche klinische Informationen). Während dieser Pandemiephase spielt es allerdings für die Beurteilung der epidemiologischen Entwicklung eine untergeordnete Rolle. Tritt eine neuartige Erkrankung auf, ist zu prüfen, ob eine Überwachung des Krankheitsbilds (Syndroms) möglich und notwendig ist. Der Nutzen labordiagnostischer Abklärungen im Rahmen dieser Überwachung ist zu evaluieren.
Gegebenenfalls ist eine entsprechende Analysestrategie für den Nachweis und die Charakterisierung des Erregers an einem Referenzzentrum oder einem anderen Vertragslabor zu definieren und umzusetzen. Entsprechende Kriterien für Meldung sowie ggf. für Beprobung und Testung sind zu definieren. Hierbei ist die Sentinella-Überwachung soweit möglich und sinnvoll mit der Meldepflicht abzustimmen. Befragungen der Sentinella-Ärztinnen und -ärzte können zudem Informationen zu pandemiebezogenen Problemen in der ambulanten Grundversorgung liefern (z. B. Engpässe an Schutzmaterial, Arbeitsauslastung).
Tritt ein neuartiger Erreger auf, ist baldmöglichst die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Abwassermonitorings zu prüfen und die entsprechende Methodik zu entwickeln. Im Falle eines Monitorings ist die Analysestrategie abzuklären, u. a. welche Probenquellen zu berücksichtigt sind (z. B. Abwasserproben aus Kläranlagen, (Tier-)Spitälern, Flughäfen und Umweltproben) und ob folglich eine Ausweitung des Systems auf andere Standorte nötig ist. Hierfür ist eine lange Vorlaufzeit nötig. Um den Beginn der Erregerzirkulation zu ermitteln, kann es sinnvoll sein, Abwasserproben aus dem Zeitraum vor der Pandemie auf den neuartigen Erreger zu testen.
Analog ist nach etablierter Labordiagnostik baldmöglichst die Notwendigkeit einer genomischen Überwachung zu prüfen und die Methodik des Whole Genome Sequencing für neuartige Erreger zu entwickeln. Im Falle einer Überwachung ist die Sequenzierungsstrategie abzuklären, u. a. der Umfang und die Probenherkunft (z. B. Meldepflicht bei Menschen und Tieren; Proben der Sentinella-Überwachung, Proben aus (Tier-)Spitälern; Umweltproben, Abwasserproben). Die entsprechende Vorlaufzeit zur Etablierung der Strategie ist zu berücksichtigen.
Die Notwendigkeit weiterer Systeme oder Studien ist zu evaluieren. Insbesondere ist zu prüfen, ob Daten aus dem Contact Tracing-Informationssystem und aus der Erhebung der Spitalkapazität für die Überwachung und Risikobeurteilung von Nutzen sein könnten.
Pandemische Phase
Während der pandemischen Phase, mit Wegfallen des Kontaktmanagements und zunehmender Transmission, sind die betriebenen Überwachungssysteme entsprechend anzupassen und die Notwendigkeit weiterer Systeme zu prüfen.
Mit zunehmender Transmission und Wegfallen des Kontaktmanagements ist die Meldepflicht des klinischen Befunds aufzuheben oder zu reduzieren (z. B. auf bestätigte Fälle, hospitalisierte Fälle oder Todesfälle). Zudem ist eine längere Meldefrist zu prüfen. Bei weit verbreiteter Transmission ist zu evaluieren, ob die Meldepflicht weiter reduziert werden kann.
Wird die Meldepflicht reduziert, kann die Relevanz einer Sentinella-Überwachung zunehmen, um die epidemiologische Entwicklung einzuschätzen. Falls noch keine Sentinella-Überwachung etabliert ist, sollte die Implementierung einer solchen erneut evaluiert werden. Ggf. kann die Überwachung dazu beitragen, die Impfwirksamkeit abzuschätzen. Zudem können eventuell Proben in die genomische Überwachung einfliessen.
Möglichkeiten des Abwassermonitorings sind erneut zu überprüfen. Ggf. ist das Monitoring auf weitere Standorte und Partnerlabore zu erweitern und die Analysestrategie anzupassen oder um eine eventuelle Sequenzierungsstrategie zu erweitern (genomische Überwachung).
Die Notwendigkeit der genomischen Überwachung ist erneut zu überprüfen. Ggf. ist die genomische Überwachung auf weitere Partnerlabore und weitere Sequenzierungszentren zu erweitern, die Analysestrategie zu adaptieren und SPSP entsprechend anzupassen.
Die Notwendigkeit weiterer Systeme oder Studien ist zu evaluieren. Insbesondere ist zu prüfen, ob Daten aus dem Impfmonitoring und aus der Erhebung der Spitalkapazität für die Überwachung und Risikobeurteilung von Nutzen sein könnten.
Stabilisierungsphase
Während der Stabilisierungsphase ist die Notwendigkeit der Überwachungssysteme zu evaluieren. Falls in einem System die Überwachung weitergeführt wird, ist sie auf ein nachhaltiges Ausmass zu reduzieren.
Meldepflicht weiter reduzieren oder aufheben.
Eignung und Notwendigkeit der Sentinella-Überwachung für die längerfristige Überwachung der Krankheit prüfen. Dieses System kann während der Stabilisierungsphase eine zentrale Rolle spielen.
Alle Phasen
Studien im Rahmen der SPSU können während allen Phasen der Pandemie Informationen zu kinderspezifischen Symptomatiken oder Komplikationen liefern. Tritt ein neuartiger Erreger auf, ist zu prüfen, ob die Überwachung der schweren Krankheitsverläufe oder von schweren Komplikationen der Krankheit bei Kindern angezeigt ist.
Je nach Pandemiephase kann ein gezieltes Monitoring der Abwasser von Flughäfen, Spitälern oder Tierhaltungen von Nutzen sein.
Weitere Informationen
Checklisten zu den Aufgaben der beschriebenen Systemen während der Pandemievorbereitung und Pandemiebewältigung sind unter Grundlagen der Überwachung zu finden.
Informationen respiratorischen Viren aus dem Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Europa und des European Centre for Disease Prevention and Control.