Therapien und Arzneimittel
In einer Pandemie ist die korrekte und angemessene Verwendung von Therapien und Arzneimitteln besonders herausfordernd, da sie möglicherweise nur eingeschränkt verfügbar sind. Hier findet sich eine Übersicht über die wichtigsten Arzneimittel und ihren Einsatz.
Erregerspezifische Therapien
Verschiedene Krankheitserreger können eine Pandemie auslösen, wobei respiratorische Viren das grösste Potenzial dazu haben.
Die prophylaktischen und therapeutischen Behandlungen haben folgende Ziele:
- die Ausbreitung des neuen pandemischen Erregers in der Anfangsphase der Pandemie verlangsamen
- Berufstätige, die dem Pandemieerreger beruflich ausgesetzt sind, und gefährdete Personen schützen (präexpositionelle Prophylaxe)
- Personen, die in direktem Kontakt mit infizierten Menschen oder Tieren stehen, nachträglich schützen (postexpositionelle Prophylaxe)
- das Risiko von Lungenkomplikationen bei einer respiratorischen viralen Infektion verringern (Therapie)
- die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle verringern (Therapie)
Folgende Einsatzmöglichkeiten bestehen für erregerspezifische Arzneimittel:
- Präexpositionelle Prophylaxe
- Prophylaxe für Gesundheitspersonal und andere Personen mit Expositionsrisiko gemäss Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SSI)
- Prophylaxe für Personen, die an der Bekämpfung von Tierseuchen beteiligt sind, gemäss Empfehlungen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
- Postexpositionelle Prophylaxe für Gesundheitspersonal, das im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit infizierten oder potenziell infizierten Personen in Kontakt gekommen ist, und andere Personen mit Expositionsrisiko, gemäss Empfehlungen des BAG, des Nationalen Zentrums für Infektionsprävention (SwissNoso) und der SSI. Für weitere Personen, die beruflich dem Pandemieerreger ausgesetzt sind (beispielsweise durch Kontakt mit Tieren, die den Pandemieerreger tragen), kann es aus der Perspektive des One Health-Ansatzes sinnvoll sein, dass ihnen die postexpositionelle Prophylaxe ebenfalls empfohlen wird.
- Therapie von Personen mit vermuteter oder bestätigter Infektion (insbesondere in Spitälern) gemäss Empfehlungen des BAG und der SSI.
Im Falle einer Pandemie werden Therapien gegen den pandemischen Erreger gemäss den Empfehlungen der SSI verschrieben. Wenn es sich bei dem Pandemieerreger um ein Virus handelt, können die beobachteten Mutationsraten hoch sein, so dass die Wirksamkeit der Behandlung im Laufe der Zeit schwankt und möglicherweise nachlässt. Die breit angelegte Verabreichung von Virostatika fördert die Entstehung und Ausbreitung resistenter Stämme. Gemäss den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der SSI sollen sie nur begrenzt eingesetzt werden.
Die folgenden Arzneimittel sind für die Behandlung von Atemwegsviren wie Influenza und SARS-CoV-2 verfügbar (Stand Februar 2025). Sie sind verschreibungspflichtig:
- Influenza
- Antivirale Behandlung: Oseltamivir (Tamiflu®, siehe Lagerhaltung), Zanamivir (Relenza®), Baloxavir (Xofluza®)
- SARS-CoV-2
- Antivirale Behandlung: Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®), Remdesivir (Veklury®)
- Monoklonale Antikörper: gemäss aktueller Empfehlungen
- Immunmodulatorische Behandlung: Steroide, Tocilizumab (IL-6-Hemmer) (Actemra®), Baricitinib (JAK-Hemmer, Olumiant®)
Während der Covid-19-Pandemie wurden einige Patientinnen und Patienten in Ermangelung anderer Therapien mit Rekonvaleszenzplasma behandelt. Die Eidgenössische Kommission für Pandemiebekämpfung (EKP) klärt mit Swissmedic und dem BAG, ob diese Therapieoption für künftige Pandemien vorbereitet wird.
Weitere Arzneimittel
Basisarzneimittel
Während einer Pandemie bleiben die üblichen akuten und chronischen Krankheitsbilder bestehen. Das Gesundheitswesen soll in der Lage sein, die notwendigen Arzneimittel auch in der pandemischen Phase bereitzustellen. Zu diesen Arzneimitteln gehören unter anderem Schmerzmittel, Anästhetika, antineoplastische Mittel, Herz-Kreislauf-Medikamente und Psychopharmaka. Dazu gehören auch ausreichende Mengen an Arzneimitteln für Kinder, beispielsweise Paracetamol-Sirup zur Fiebersenkung.
Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen berücksichtigen bei der Bedarfsplanung ihre Rolle im Gesundheitswesen, ihre Patientenpopulation und den aktuellen Bedarf.
Antiinfektiva zur Behandlung nicht-pandemischer Krankheitserreger
Die Leistungserbringer erstellen für den Pandemiefall eine adäquate Bedarfsplanung der antibiotischen, antiviralen, antimykotischen, antituberkulösen und antiparasitären Arzneimittel, einschliesslich der pädiatrischen Formulierungen.
Antibiotika
Der zusätzliche Bedarf an Antibiotika während einer Pandemie hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören die Eigenschaften des pandemischen Erregers, die Morbiditäts- und Spitaleinweisungsraten, die Stärke und Dauer der Pandemiewelle, der Anteil bakterieller Superinfektionen, die Altersverteilung der Fälle, die Komplikationsrate in den verschiedenen Altersgruppen und die präventive Wirkung einer allfälligen Impfung. Der tatsächliche Bedarf kann daher von Pandemie zu Pandemie stark schwanken.
Antibiotika zur Behandlung von Sekundärinfektionen müssen in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Der erhöhte Bedarf an Antibiotika soll aus den Lagern für gebrauchsfertige Arzneimittel und aus den Lagern für Wirkstoffe gedeckt werden (siehe Lagerhaltung).
Aufgrund des erhöhten Bedarfs in einer Pandemie wird empfohlen, Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn die notwendigen diagnostischen Kriterien für den Verdacht auf eine bakterielle Infektion erfüllt sind und die geltenden Verschreibungsempfehlungen eingehalten werden. Für die häufigsten antibiotisch zu behandelnden Infektionskrankheiten sollen im Falle einer Pandemie entsprechende Empfehlungen zu Arzneimitteln der ersten Wahl und Alternativen in Zusammenarbeit mit den medizinischen Fachgesellschaften erstellt und regelmässig aktualisiert werden.
Geschätzter Bedarf im Falle einer Grippepandemie
Die Häufigkeit von sekundären bakteriellen Infektionskrankheiten bei Grippepatientinnen und Grippepatienten liegt bei Erwachsenen zwischen 10–15 %, bei Kindern unter drei Jahren bei 50 %. Während einer Grippepandemie ist daher mit einem zusätzlichen Bedarf an Antibiotika zur Behandlung von Sekundärinfektionen zu rechnen. Durch die Pflichtlagerhaltung von Antibiotika wird die zusätzliche Bedarfsdeckung unterstützt.
Die Schätzung des Antibiotikabedarfs während einer Grippepandemie beruht auf folgenden Annahmen:
Die breite Anwendung der Pneumokokken-Impfung ist eine weitere Massnahme, die den Antibiotikaverbrauch im Falle einer Pandemie reduzieren dürfte.
Erfahrung der Covid-19-Pandemie
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hebt hervor, dass der Einsatz von Antibiotika während der Covid-19-Pandemie weit verbreitet und übermässig war: Nur 8 % der hospitalisierten Covid-19-Patientinnen und -Patienten hatten begleitende bakterielle Infektionen, die Antibiotika erforderten, während etwa 75 % von ihnen – für den theoretischen Fall, dass diese Behandlung hilfreich sein könnte – Antibiotika erhielten. Diese nutzlosen Behandlungen führten nicht zu den gewünschten Ergebnissen und förderten das Auftreten von Nebenwirkungen und Antibiotikaresistenzen.